Samstag, 9. Februar 2008

Chasqui, El Alto, Bolivien

CHASQUI ist aymara und bedeutet “der Bote”. Bereits 1988 gruendeten Jugendliche die Institution auf freiwilliger Basis, um ihre Geschwister zu unterstuetzen. Erst im Jahr 2000 wurde offiziell eine Nichtregierungsorganisation (NGO) aus dieser Initiative geformt, und so konnte auch begonnen werden, Geldgeber zu suchen. Seit 2004 ist CHASQUI Projektrpartner von terre des hommes.

Das Projekt mit terre des hommes ist es die Kinder und Jugendlichen des Viertels im Thema liderazgo, was wir mit "der Faehigkeit zu leiten" uebersetzen wuerden, weiter zu bilden und Umwelterziehgung zu betreiben.

CHASQUI liegt im abgelegenen Viertel “Estrella de Belén” El Altos, das dadurch entstanden ist, dass Aymarafamilien aus dem Umland sich angesiedelt haben, um von dem Reichtum der Stadt La Paz zu profitieren. Fuer viele ist ein Hauptgrund der Landflucht der Wunsch, dass es ihre Kinder besser haben sollen, als sie und dass sie studieren koennen.

“Die Familien, die hierher zuwandern, denken, dass sie in die Stadt kommen und alles haben werden, aber in Wirklichkeit haben sie hier nichts und lassen alles zurueck: Ihr Feld, ihr Haus, ihre Familie, ihre Kultur – bis zu ihrer Sprache!”, so der Mitarbeiter Freddy Toledo. Adela Cruz, die Koordinatorin des Projektes, die CHASQUI vor vielen Jahren mitgegruendet hat, kann dieses nur bestaetigen: Nach zwei bis drei Monaten passen sich die Kinder und Jugendlichen der staedtischen Kultur an. Das erste Merkmal ist, dass sie ihre traditionelle Kleidung ablegen und sich “modern” kleiden und bald schaemen sie sich, ihre Sprache zu sprechen. Und das, obwohl fast alle im Viertel Aymara sind.

Besonders auffallend in diesem Viertel ist, dass die Bevoelkerung groessten Teils in zwei Welten lebt: Oft leben nur die Kinder in der Stadt, um zur Schule gehen zu koennen und die Eltern bleiben im Dorf, um weiterhin die Felder bestellen zu koennen. Doch sobald es Wochenende ist, oder Ferien sind, gehen auch die Kinder mit zurueck, um bei der Feldarbeit zu helfen. Diejenigen, die nicht zwischen den zwei Welten leben, arbeiten in ihrer freien Zeit in der Stadt, um so zum Familienunterhalt bei zu tragen.

Fuer diejenigen, die staendig hin und her reisen, ist es besonders schwer eine eigene Persoenlichkeit zu entwickeln: In der Stadt sind sie die vom Land, in ihrem Dorf die aus der Stadt. In keinem der zwei Kulturkreise sind sie ganz zu Hause.

So ist die kulturelle Identitaet die Basis der Arbeit von CHASQUI. Den Kindern und Jugendlichen soll geholfen werden, sich in der neuen Umgebung stolz bewegen zu koennen, mit einem klaren Bewusstsein, wer sie sind und woher sie kommen. Hierfuer ist bei CHASQUI ein Psychologe zustaendig. In der Regel arbeitet CHASQUI mit Studenten, die ihre Praktika absolvieren muessen, da sie nicht genug Geld haben einen Psychologen fest anzustellen. Doch oft findet sich kein Praktikant, der freiwillig nach Estrella de Belén kommt: “ Es ist zu weit weg”, “Die Fahrt ist zu teuer” oder “Es ist zu gefaehrlich”, sind Entschuldigungen, die nach einer kurzen Zeit geaeussert werden, um nichtmehr kommen zu muessen. Adela sagt, dass all diese Entschuldigungen auch begruendet seien und dass die Nichtpraesenz der Polizei die gefaehrliche Situation einmal mehr bestaetigt.

Sensibilisiert durch die Diskussion ueber straffaellige Migrantenkinder und -jugendliche, die derzeit in Deutschland gefuehrt wird, fragen wir an diesem Punkt nach. Ja, es gibt auch hier im Viertel Gangs. Jede Gang hat ihr Territotrium, wobei CHASQUI eine Art neutrales Gebiet darstellt, wo die Gangs nicht als Gruppe gesehen werden, sondern die einzelnen Personen als Individuen. So haben die Mitarbeiter Zugang zu den einzelnen Bandenmitgliedern und bisher auch noch keine Probleme mit ihnen gehabt. Innerhalb der Gangs ist es ueblich, dass Klebstoff geschnueffelt wird und auch die Anwendung von Gewalt ist weit verbreitet.

CHASQUI arbeitet, um an der Situation etwas aendern zu koennen, in einem Netzwerk mit den Schulen und den Eltern zusammen. In regelmaessigen Besuchen werden Elterngespraeche gefuehrt, und nach einer gewissen Zeit bekommen sie dann die Rueckmeldungen der Eltern : “Mein Sohn hat sich sehr veraendert, jetzt hat er Respekt!” Durch Aussagen wie diese wird die muehselige, langfristige Arbeit belohnt.

Wir hatten die Moeglichkeit bei einer Ch’alla zu Ehren der Pachamama, der Mutter Erde, dabei zu sein. Solche Riten der Aymara werden bei CHASQUI regelmaessig durchgefuehrt, damit die Kinder und Jugendlichen ihre Herkunftskultur nicht vergessen.

Chasqui - El ALto - Bolivien