Montag, 17. September 2007

LIDER, informelle Bildung, Sucre, Bolivia

LIDER (linea institutional de desarrollo rural), wird durch terre des hommes in einem Projekt in der Stadt Sucre unterstuetzt. Viele Jugendliche ziehen mit ihren Familien, oder auch alleine, in die Stadt, da sie dort auf ein besseres Leben hoffen. Doch in der Realitaet ist es fuer die Eltern oft schwer in der Stadt eine Arbeit mit fester Anstellung zu finden. So leben sie meistens in abgelegenen Vierteln, die sich durch schlechte Infrastruktur auszeichnen. Manchmal sind die Strassen nicht asphaltiert, andere Male gibt es keinen Strom, oder kein fliessendes Wasser.

Doch die Kinder sollen es besser haben - darum gehen sie in die Schule und arbeiten hart daran, einen Abschluss zu erhalten. An dieser Stelle setzt das Projekt von LIDER an: In den Schulen der Randbezirke werden workshops fuer die Jugendlichen angeboten, in denen sie zu guten, kritischen "Anfuehrern" (span. = lider) ausgebildet werden, mit dem Ziel, dass sie Verantwortung in ihren Vierteln uebernehmen oder sich in anderen Organisationen der Zivilgesellschaft engagieren koennen.

Der Grund dafuer, dass Jugendliche die Zielgruppe sind, ist, dass 49,2% der bolivianischen Bevoelkerung unter 19 Jahren alt sind, wenn man die jungen Erwachsenen von 20 bis 24 Jahren dazunimmt, sind es knapp 59%! Demnach sind die Jugendlichen nicht Boliviens Zukunft, sondern dessen Gegenwart! Doch diese grosse Bevoelkerungsgruppe ist nach wie vor diejenige, die am wenigsten politische Macht hat. Und nur ein verschwindend geringer Anteil der Jugendlichen nimmt an sozialen oder politischen Gremien teil.

In einem workshop, an dem wir teilnahmen, wurde gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeitet, warum es so wenig Partizipation von Jugendlichen in den Nachbarschaftszentren gibt: Die Jugendlichen haben einerseits Angst, sie koennen sich nicht aeussern, andererseits fuehlen sie sich von den Erwachsenen nicht ernst genommen. Andere haben kein Interesse oder einfach keine Informationen ueber ihre Rechte und Moeglichkeiten.

LIDER arbeitet mit ueber 100 Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 13 bis 25 Jahren in den Rangebieten Sucres. Sie lernen in verschiedenen Modulen die Geschichte Boliviens, wie Demokratie funktioniert, die aktuelle politische Situation und ihre Rechte von einer kritischen Seite aus kennen. Diese Module sind partizipativ aufgebaut, mit dem Ziel, dass die TeilnehmerInnen selber den Ablauf aktiv mitgestallten koennen und durch die Parxis lernen, sowie Vorbehalte abbauen. Hierzu ist anzumerken, dass der Unterrichtsstil in Bolivien meist frontal ist und es den Schuelern oft schwer faellt, sich frei zu aeussern und ihre Gedanken auszudruecken. (Manche trauen sich noch nicht einmal sich vorzustellen.) Durch diese neue Form des Lernens werden viele dieser Hemmungen abgebaut.

Besonders hervorzuheben ist, dass das Thema wirklich Anklang findet. So haben sich aeltere Geschwister von workshop Teilnehmern an LIDER gewandt mit der Bitte, ebenfalls an diesen workshops teilnehmen zu koennen und daraufhin eine eigene Gruppe gegruendet.

Wie wir selber miterleben konnten, nehmen die Schueler mit grosser Freude an den workshops teil. So wurde die Frage, ob sie mit uns zu einem extra Termin in ihrer Freizeit einen workshop zum Thema "Vielfalt" machen moechten, in allen Klassen einstimmig mit ¡¡Siii!! (= Jaaaa!!!) beantwortet. (Soviel Zustimmung haetten wir nicht erwartet!)

In den workshops haben wir unsere Methoden etwas auf die speziellen Besonderheiten jeder einzelnen Gruppe abgestimmt. Ziel war es jeweils zu erarbeiten, was Vielfalt ist, die Zusammenhaenge zwischen der bolivianischen Vielfalt und dem Weltmakt darzustellen, und Loesungen zu erarbeiten, was getan werden kann, um die vorhandene Vielfalt zu erhalten. Besonders gut geeignet war der Film "Liebevolle Lehrer" (Vorstellung von PRATEC, Peru), um ein Beispiel zu zeigen, wie die Vielfalt in den Anden Perus erhalten wird.

In vier verschiedenen Gruppen haben wir unseren workshop angeboten. Die Ergebnisse waren so vielfaeltig wie das Thema selbst. Mal lagen die Schwerpunkt mehr in der Biodiversitaet, eine andere Gruppe diskutierte sehr kontrovers ueber die kulturellen Anspekte der Vielfalt im besondern fuer Bolivien.

Etwas, das die Teilnehmer in ihrer Sprache Quetchua gerne nach Deutschland weitergeben moechten:

¡Ukhu sunquymanta jatun napayku apakunaykichis tiyan!
(dtsch = Von ganzem Herzen senden wir liebe Gruesse an alle!)

¡Ancha munakuyku kay pachata!
(dtsch = Wir moegen diese Welt sehr!)

¡Nuquayku munayku kay tukay yachaykunasta wawaquaychakunata tukuy mundu jallp’api!
(dtsch = Wir mochten, dass alle Kuturen auf der ganzen Welt erhalten bleiben!)

Und in spanisch:
¡La diversidad no sea motivo de conflictos, sí no para unir nos mas!
(dtsch = Die Vielfalt sollte kein Grund fuer Konflikte sein, sondern dafuer, uns mehr zu vereinigen!!)!


Fotos zu diesem Projektbesuch in einer Diashow
LIDER

Mittwoch, 5. September 2007

PASOCAP, NATSs in Potosí, Bolivien

Der erste Projektpartner von terre des hommes, den wir in Bolivien besuchten, befindet sich in Potosí (knapp 4000m), der hoechstgelegenen Stadt dieser Groesse der Welt. In der Region gibt es nicht viele Einkommensquellen, das Klima ist zaeh und die Hoehe und abgelegene Lage inmitten der Anden, zieht keine weitere Industrie an. Was es gibt, sind Minen: Es wird Zinn, Kupfer und Silber abgebaut. Da die Gehaelter im nationalen Vergleich sehr hoch sind, werden die Gefahren der Minenarbeit ignoriert und mit dem derzeitigen Boom im Mineralgeschaeft steigt auch die Zahl der Minenarbeiter. Auch viele Kinder und Jugendliche gehen dort arbeiten, um zum Wohl der Familie beizutragen. PASOCAP (Pastoral Social y Caritas Potosi) ist Projektpartner von terre des hommes und versucht mit dem Projekt fuer arbeitende Kinder und Jugendlichehe dem vorzubeugen, dass diese in die Minen gehen.

PASOCAP ist dort die Anlaufstelle fuer arbeitende Kinder und Jugendliche, die in nicht ausbeuterischen Bereichen arbeiten und parallel die Schule besuchen. Das sind zwei der Hauptbedingungen, die sie erfuellen muessen. Wenn sie die Schule abbrechen, oder nicht bereit sind sich in einer anzumelden, dann duerfen sie nicht weiter Mitglied der NATs sein. Diese Regeln haben die Kinder und Jugendlichen fuer sich selber festgelegt. Bei PASOCAP koennen sie Unterstuetzung bei fast allen Schwierigkeiten finden, ob es Hausaufgaben sind oder Konflikte bei der Arbeit.

NATs, niñ@s y adolescentes tarbajadores (= arbeitende Kinder und Jugendliche), ist die Organisation, in der sich arbeitende Kinder und Jugendliche auf ganzen Welt zusammenschliessen, um sich besser fuer ihre Rechte einsetzen zu koennen.
Die arbeitenden Kinder und Jugendliche Potosís sind primaer gemaess ihres Arbeitszweiges organisiert, dort werden Delegierte als Vertreter (span. "lider") gewaehlt, die an den gemeinsamen Treffen bei PASOCAP teilnehmen. Die NATS in der Region Potosí sind in dem Netzwerk CONNATSOP zusammengeschlossen und diese wiederum im bolivianischen Netz UNATsBO. An den Netzwerktreffen nehmen in den untergeordneten Gremien gewaehlte Delegierte teil (z.B. fuhren 2 Del. zu einem nationalen Treffen der UNATsBO, in dem wiederum gewaehlt wurde, wer aus Bolivien zu dem internationalen Treffen der suedamerikanischen NATs faehrt).

Bei PASOCAP informieren sich die arbeitenden Kinder und Jugendlichen in workshops ueber ihre Rechte und bilden sich in "Fuehrerschaft" (span. "liderazgo") weiter. Andere wichtige Dinge, die sie dort lernen, sind Respekt voreinander, auch bei der Arbeit, und Verantwortungsbewusstsein. Doch was den Kindern und Jugendlichen mindestens genauso wichtig ist ist, dass sie dort ihre Freunde treffen, mit aehnlichen Beduerfnissen und Schwierigkeiten.

Sie organisieren sich selber und sie sind verantwortlich fuer das Zustandekommen von Aktivitaeten - die Angestellten im Buero sind dafuer da, sie zu unterstuetzen: In Konflikten vermitteln sie und bei anderen Schwierigkeiten beraten sie. Doch der Hauptaktivist bleibt der Jugendliche.

In der Zeit, in der wir dort waren, liefen die Vorbereitungen fuer das grosse Fest, die Chutillos, auf Hochtouren. Das groesste Fest Potosis zu Ehren des San Bartolomé dauert 3 Tage und Tanzgruppen aus ganz Bolivien reisen dafuer an. Teilnehmen durften alle arbeitenden Kinder und Jugendlichen, die bei den CONNATSOP organisiert sind, aber auch diejenigen, die noch nicht organisiert sind! Jeden Abend wurde der Tanz der "Negritos" ("die kleinen Schwarzen") geprobt. Dann trafen sich bis zu 80 Kinder im Buero von PASOCAP und auf der Strasse wurde mit lauter Musik geprobt.

An den Chutillos nahmen die CONNATSOP zum zweiten mal teil, da es die Moeglichkeit bietet, den Bekanntheitsgrad der Organisation zu steigern. Die Kinder und Jugendlichen machen zu Ehren des Heiligen San Bartolome mit, oder einfach, um Spass zu haben und weil sie gerne tanzen.Der Tanz der Negritos soll an das harte Leben der ehemaligen Sklaven Boliviens erinnern und ist einer von vielen traditionellen Taenzen. Von den CONNATSOP wurde er aus zwei Gruenden ausgewaehlt:
1) sie wollen zeigen, dass es immer noch Ausbeutung gibt.
2) weil die Kleidung der maennlichen Negritos leicht selber herstellbar ist.

Im Zusammenhang mit der Vorbereitung des grossen Aufrtitts, gab es viel zu erledigen, so dass wir einfach mit anpackten. Es musste ein Plakat gemalt werden, die Kostueme mussten organisiert werden, u.v.m. Ausserdem kam eine Gruppe von NATs aus El Alto, La Paz angereist, um mit den CONNATSOP gemeinsam zu tanzen, was zusaetzliche Arbeit bedeutete.

Wir hatten die Moeglichkeit an einer gemeinsamen Versammlung der beiden NATs-Gruppen teilzunehmen. Es waren ueber 70 Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 20 Jahren. Es war spannend den Prozess zu beobachten. So erfuhren wir auch, wie dieses Zusammentreffen der NATS-Gruppen finanziert wurde: Die Kinder und Jugendlichen aus La Paz muessen fuer die Tansportkosten und die Leihgebuehren ihrer Kostueme selber aufkommen, und die Mitglieder von CONNATSOP sind fuer die Unterbringung und das leibliche Wohl verantwortlich. Hierzu zahlen sie kleine Betraege aus ihren Gemeinschaftskassen und schreiben Werbungsbriefe (z.B. an den Buergermeister und Unternehmen/Gewerkschaften), um zusaetzliche Gelder zu aquirieren. Ausserdem muss jeder, der an den Chutillos mittanzt, einen symbolischen Beitrag von 30 BS (= 3€) zahlen, mit dem die Blaskapelle und die Verpflegung waehrend der Parade gezahlt wird. (Fuer manche ist dieser Betrag jedoch schon die Huerde zum Mittanzen.) Ihre Idee ist es, dass sie 80% der noetigen Gelder selber aufbringen, bevor sie Hilfsorganisationen wie PASOCAP oder tdh um finanzielle Unterstuetzung bitten.

Am Sonntag war es dann soweit, die Negritos waren die ersten, die morgens um 9 Uhr losmarschieren mussten. Anfangs waren alle noch sehr aufgeregt, doch als sie sich dann warmgetanzt hatten, lief es dafuer um so besser.... alle haben sich gefreut, als sie nach 4 Stunden ins Ziel liefen....

Um unsere Recherche zu "Vielfalt" weiter zu treiben bereiteten wir fuer die zweite Woche einen workshop vor. In diesem stellten wir unsere Reise kurz vor und was terre des hommes in Deutschland ist und macht. Es war spanned fuer die Jugendlichen zu sehen, dass es dort Kinder und Jugendliche gibt, die sich fuer ihr Wohl einsetzen. Doch am spannensten fanden sie es ihren Arbeitsbereich in Deutschland kennen zu lernen:
Zeitungsverkaeufer <-> Zeitungsautomat
Schuputzer <-> Schuhputzmaschine
Friedhofreiniger <-> Grabpfleger
Gepaecktraeger... hier <-> dort

Anschliessend haben wir mit ihnen ueber Vielfalt geredet, was es fuer sie bedeuetet und wie die lokale Vielfalt durch die Globalisierung des Handels bedroht wird. So konnten wir die Kinder und Jugendlichen, fuer die Vielfalt anfangs noch ein leerer Begriff war, etwas sensibilisieren. Dass sie viele eigene Traditionen und Kulturen in Bolivien haben, das wissen sie, doch dass diese in Gefahr sind, das haben sie noch nicht wirklich realisiert, obwohl sie in der eigenen Familie sehen, dass nur noch die Alten die typischen Trachten tragen... besonders deutlich ist auch das Beispiel ihrer Sprache, des Quetchuas: Die Alten sprechen nur Quetchua und kein Spanisch, die ganz jungen koennen zwar beides, reden aber oft nur Spanisch!

DIASHOW zum Projektbesuch
PASOCAP